Die zwei Kastenteile in der Turnhalle wurden noch weiter auseinandergeschoben. Ich saß mit meinen fünf Jahren oben drauf. Jeweils ein Fuß stand auf einem Kastenteil. Doch je weiter die Kastenteile auseinander geschoben wurden, um so mehr war es ein Schwanken meines ganzen Körpers, der in der Mitte aufrecht stehen sollte.
2 Sekunden, 5 Sekunden, 10 Sekunden.
So lernte ich Spagat.
„Es ist bald wieder Familiengottesdienst.“
Dieser Satz ist oft gleichzusetzen mit: „Wir gestalten einen Gottesdienst, der es allen recht machen muss.“. Unsere Gemeinden werden immer individueller. Für jeden ist etwas dabei. Beim Familiengottesdienst fühlt es sich so an, als ob verschiedene Charaktere auf je einem Kastenteil sitzen und wir – die wir den Familiengottesdienst vorbereiten – wollen es allen recht machen. Alle der Gemeinde – ja ich meine wirklich alle – sind dabei und sollen erreicht werden. So schwanken die Mitarbeiter mit dem Pastor und versuchen die Balance zu halten, um es jedem recht zu machen – so wie ich damals auf meinen zwei Kastenteilen. Wie anstrengend das ist, weißt du vielleicht selbst.
In meiner ersten Folge zum Thema „Familiengottesdienst“ möchte ich dir die verschiedenen Charaktere in der Gemeinde, in Bezug auf den Familiengottesdienst vorstellen und dir helfen, sie mit einer anderen Brille zu sehen.
Ich wünsche dir, dass der Spagat dadurch nicht mehr ganz so schmerzhaft ist.
Die Märtyrer im Familiengottesdienst
Sie sitzen im Gottesdienst mit verkniffenem Gesicht und du siehst, wie sie leiden. Egal, was Vorne läuft: im Familiengottesdienst gibt es nichts anderes für sie, als dass man leidet. Ein Bewegungslied, wie peinlich. Der Pastor hat keine Krawatte um, wie anstößig. Was, es predigt nur ein Kindermitarbeiter, wie unfromm. Aber weil sie ja gute Christenmenschen sind und immer in den Gottesdienst gehen, kommen sie.
Als Erstes möchte ich dir sagen, nimm es nicht persönlich, dass sie so leiden und ja, die meisten von ihnen leiden wirklich. Aber sie meinen nicht dich. Egal, was du für eine Aufgabe im Familiengottesdienst hast oder ob du nur „dabei“ bist, lass dich von ihnen nicht runterziehen.
Ich möchte dir nur 3 Gründe nennen, warum sie vielleicht so sind, um dich sensibler zu machen.
1. Grund: das Wort „Familiengottesdienst“
Familiengottesdienst heißt für mich, dass alle aus der Gemeinde zu diesem Gottesdienst eingeladen sind. Wer nicht möchte, ok. Das Wort Familie ist dort vielleicht etwas falsch am Platz, denn wir haben in unserem Hirn ein vorgefertigtes Bild von Familie und da fallen ein paar Menschen aus der Gemeinde nun mal raus. Ich wünsche denen, die sich bei dem Wort Familie nicht angesprochen fühlen, ein weites Herz, und dass sie wissen: „doch, ich gehöre dazu“. Vielleicht ist das genau das Problem, dass die Märtyrer sich unbewusst nicht dazugehörig fühlen, allein wegen des Wortes. Die Frage ist, heißt du sie in eurer Familie willkommen?
2. Grund: das Bild Gottes mit erhobenem Zeigefinger
Sie haben gelernt, dass man im Gottesdienst nicht lachen darf. Das ist traurig, aber wahr. Sie sind groß geworden mit dem Lied: „Pass auf kleines Auge, was du siehst.“. Dieses Bild von Gott, dass er herabschaut und mit erhobenem Zeigefinger dasteht, ist so verinnerlicht, dass sie gar nicht mehr anders können. Ich glaube, ein guter Weg ist, ihnen in Liebe zu begegnen. Meist sind das tiefgläubige Menschen, die es absolut ernst mit ihrem Glauben meinen. Auch wenn du der Meinung bist, vielleicht nehmen sie es zu ernst, sind sie oft die Säulen unserer Gemeinde, an denen wir uns festhalten können, wenn es stürmisch ist.
3. Grund: Sie mögen es wirklich nicht
Das hört sich vielleicht doof an, aber du magst doch auch nicht alles. Wenn ein Pastor zu lange und zu unstrukturiert predigt, fühle ich mich auch als Märtyrer, denn „ich lasse es über mich ergehen“ und so gibt es auch Menschen, denen Familiengottesdienst zu anstrengend ist und ehrlich – ich finde: „Das ist ok.“!
Jetzt denkst du aber: „Ja, aber sie kommen ja nur, um dann auch zu sagen, was alles nicht christlich war und nicht biblisch.“ Ja, manche von ihnen tun das – ich verweise hierzu wieder auf Grund 1. 🙂
Die Verweigerer des Familiengottesdienstes
Zum Glück steht im Gemeindebrief, wann Familiengottesdienst ist, denn dann können die Verweigerer, welche auf diese Kinderdallerei keine Lust haben, einfach zu Hause bleiben. Und das tun sie auch. Egal, was man sagt, sie bleiben zu Hause.
Ganz ehrlich, was regst du dich über sie auf? Das tust du doch nur, weil es um deine Ehre geht, um dein Ego. Du fühlst dich angegriffen und nicht wertgeschätzt. Wie kann jemand zu „deinem“ Familiengottesdienst nicht kommen? Noch einmal, es muss in der Gemeinde nicht allen alles gefallen, und auch nicht jeder muss alles mitmachen. Diese Zeiten sind vorbei. So schade, wie du das vielleicht auch findest.
Trotzdem hast du ein wenig recht. Es ist schade, dass Menschen, die noch nie oder das letzte Mal vor 18 Jahren in einem Familiengottesdienst waren, dem Ganzen keine Chance geben. Aber vielleicht genießen sie auch einfach mal ihren Sonntagvormittag zu Hause. Es sei ihnen gegönnt. Oder?
Die Mutanten im Familiengottesdienst
Endlich wieder Familiengottesdienst. Endlich wieder Kind sein dürfen. Ja, die gibt es auch. Sie genießen es: den Trubel, die Abwechslung und keiner 20- oder 60-Minuten-Predigt zuhören zu müssen. Sie dürfen endlich wieder erlaubt Kind sein. Was für eine Freude.
Vom Gefühl her, müsste man sofort auf sie zuspringen und sie zu Kindergottesdienst-Mitarbeitern rekrutieren, aber leider wollen sie das nicht. Ärgere dich nicht darüber. Nur weil manche Menschen auch gern‘ Kind sind, macht sie das noch lange nicht zu guten Pädagogen, auch wenn sie bei sich bleiben können und einfach ausgelassen mitmachen. Freu‘ dich daran, dass sie dabei sind und mitmachen
Die Urlauber im Familiengottesdienst
Tata – ich präsentiere: die Eltern. Ein Phänomen über welches ich schon oft gestaunt habe. Viele Eltern haben tatsächlich die Meinung, dass sie im Familiengottesdienst frei haben. Ihre Kinder sind nicht mehr ihre Kinder, denn es gibt ja dich, den Kindergottesdienst-Mitarbeiter.
Dich stört das? Dann rede mit ihnen. Eine weitere Möglichkeit ist es, sie überhaupt erst mal sensibel dafür zu machen. Ich glaube, dass viele Eltern das gar nicht sehen. Vielleicht ist es an der Zeit, darüber zu reden, was du dabei fühlst? Das kann ein Brief an alle Eltern oder ein Artikel in eurer Gemeindezeitung sein.
Eine andere Möglichkeit ist es, die Kids nicht vorne in die ersten drei Reihen zu holen, wenn Familiengottesdienst ist. Warum sitzen die Kinder nicht bei ihrer Familie?
Die Gestressten im Familiengottesdienst
Das sind die Kindergottesdienst-Mitarbeiter. Vielleicht bist du das. Aber vielleicht bist du ja auch nicht „dran“. Dann darfst du gern‘ ein Genießer sein. Ansonsten
- hast du für Ruhe zu sorgen,
- hast du zwischen den Kids in den ersten drei Reihen zu sitzen,
- musst du laut „psst“ sagen,
- musst du deine Augen überall haben und
- vielleicht musst sogar du noch Kids an der richtigen Stelle nach Vorne schicken, weil sie ein Element im Gottesdienst gestalten.
- Du bist Souffleuse für die Fürbitten, die die Kinder sprechen und
- du bist der Dirigent, wenn die Kinder ein Lied vorne singen dürfen.
- Du bist Tröster, da ein Kind nicht dort sitzen kann, wo es gern wollte, weil dort schon jemand anderes sitzt.
- Im Übrigen darfst du auch noch mit Pantomime einen Streit schlichten, damit es nicht stört, denn ein Märtyrer hat auf einmal zu dir „pssst“ gemacht.
Auch hier plädiere ich noch einmal dafür, dass die Kids im Familiengottesdienst mittendrin sitzen. Auch bei Liedern, die zusammen gesungen werden, ist es viel motivierender und die Erwachsenen werden besser mitgezogen, wenn die Kids mitten unter uns sitzen. Denn wenn das so ist, gibt es die „Gestressten“ nicht. Wäre das nicht schön?
Die Genießer im Familiengottesdienst
JA, sie gibt es und ich hoffe, dass das die meisten sind, die sich wirklich über den Familiengottesdienst freuen. Sie freuen sich, dass Menschen Zeit aufwenden, um den Gottesdienst vorzubereiten. Sie freuen sich an den Kindern, die da sind. Sie freuen sich über strahlende Gesichter. Sie freuen sich an ihrer Gemeinde und dass sie ein Teil davon sind. Ach könnten doch alle so sein.
Familiengottesdienst wird, wenn du die gesamte Gemeinde siehst, immer ein Spagat bleiben, einfach weil wir unterschiedlich sind und unterschiedliche Dinge mögen. Dennoch hat vieles auch mit Toleranz zu tun. Bist du tolerant den Menschen gegenüber, die keine Genießer im Familiengottesdienst sind? Wenn du das immer mehr schaffst, dich auf die Genießer zu konzentrieren – bei den Erwachsenen und bei den Kindern – wirst du bald keinen Spagat mehr machen müssen, sondern darfst dich auf das konzentrieren, was du als Werkzeug Gottes den Menschen im Familiengottesdienst weitergeben möchtest.
Dir fallen noch mehr Charaktere im Familiengottesdienst ein?
Dann erzähl‘ davon.
… unten in einem Kommentar…
Katrin Danke für deine offenen, ehrlichen und klaren Ausführungen.
Wir kennen die Zeiten des Familiengottesdienstes zum Weglauben und haben ihn kurzer Hand abgeschafft. Nich ohne Beschwerden. Mit etwas Abstand probieren wir uns mit unterschiedlichen neuen Konzepten, Ideen und Mitarbeitern aus. Wir haben verschiedene Standorte als Gemeinde, also Gottesdienste an verschiedenen Orten mit unterschiedlichen Mitarbeitern und Besuchern. Aus unserer Erfahrung passt zu unterschiedlichen Gottesdienstbesuchern und -mitarbeiterm auch unterschiedliche Konzepte und Ideen. Wir hatten Mut eine alte Tradition sterben zu lassen, um etwas Neues wachsen zu lassen.
Ich bin auch ein Mensch, der mit dem Wort Familiengottesdienst nicht nur positives verbindet. Ich habe daher nach neuen Namen gesucht. Und überlegt für wen soll der Gottesdienst sein? Nur für Familien oder soll es nicht eigentlich ein Gottesdienst mit und für alle Generationen sein. Daher präge ich nun den Begriff ein „Gottesdienst für alle Generationen“, wir versuchen natürlich auch alle Generationen einzubeziehen und anzusprechen.
Auch wir überlegen schon lange, wie ein Gottesdienst heißen könnte, der nicht mehr nach den alten Mustern eines Familiengottesdienstes (also mehr oder weniger für Kinder) gestaltet und doch ein Gottesdienst für die ganze Familie sein möchte. Wir bleiben beim Begriff „Familiengottesdienst“ (Dazu gehören doch alle Generationen!) und arbeiten am Verständnis dieses Begriffes innerhalb der Gemeinde. Wir versuchen, die Gottesdienstteilnehmer an den Türen zu begrüßen, manchmal mit einem kleinen Spruch auf einem Herzchen oder einem Gebet auf einer Karte. Die Kinder dürfen ein Teelicht anzünden und es auf den Altar oder auf einen kleinen Tisch vor dem Altar stellen.
In den Begrüßungsworten, die einer vom Team vor unseren Familiengottesdiensten sagt, weisen ausdrücklich darauf hin, dass ALLE willkommen sind. Die einen kommen um einen fröhlichen Gottesdienst zu feiern, die anderen vielleicht, um sich zu entspannen, wieder andere um in Ruhe mit Gott sprechen zu können, um an die zu denken, die heute nicht dabei sein können, an die Kranken, an die Verstorbenen. Wir versuchen, die Gottesdienstteilnehmer an den Türen zu begrüßen, manchmal mit einem kleinen Spruch auf einem Herzchen oder einem Gebet auf einer Karte. Die Kinder dürfen ein Teelicht anzünden und es auf den Altar oder auf einen kleinen Tisch vor dem Altar stellen.
Manchmal spielt eine Musikgruppe aus der Gemeinde, meistens ist keine Predigt. Am vergangenen Sonntag predigte unser neuer Kaplan und machte das so frei, kurz und einfach, dass alle begeistert waren. Wir sorgten noch für eine Einführung, für die Fürbitten und für ein kleines Dankgebet. So stellen wir uns einen Familiengottesdienst vor. Es soll ein Gottesdienst für alle sein!
Aber so sollte eigentlich jeder Gottesdienst sein!
Herzliche Grüße
Cornelia